In den letzten Wochen stand für einige unserer Schüler Feldarbeit auf dem Stundenplan. Ein neues Schulfach? Keineswegs. Vielmehr ging es darum, eine Idee in die Tat umzusetzen, die im Frühsommer entstanden war…

Das Problem: Ausgebrummt?

Zahlreiche neuere Studien belegen, was Naturfreunde seit Jahren beobachten: Vielen unserer einheimischen Insekten geht es schlecht. Nach Angaben renommierter Forscher ist die Gesamtmenge an Insekten vielerorts im Durchschnitt um 75 Prozent zurückgegangen.  Das dramatische Ausmaß des lautlosen Insektensterbens hat verschiedene Gründe. Als Ursachen werden Spritzmittel in der Landwirtschaft, Monokulturen, Flächenverbrauch, Bodenversiegelung, Lichtverschmutzung und das Abnehmen von Pflanzenarten diskutiert, welche die Insekten zum Leben brauchen. Besonders ins Auge sticht der Rückgang unserer bunten Tagschmetterlinge. Eine Insektenzählung durch Schulklassen auf unserem Schulgelände ergab beispielsweise gerade mal ein Exemplar des Kleinen Fuchses. Der bunte Tagfalter war noch vor Jahren einer unserer häufigsten Schmetterlinge.

Nur tatenlos zusehen?    

Eine Schule, die glaubwürdig das Leben gegenwärtiger und zukünftiger Generationen im Auge hat, muss auch ökologische Problemfelder aufgreifen. Deshalb fordert das Insektensterben zum pädagogischen Handeln auf. Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Grund- und Mittelschule Weil im Sommer einen „Tag der Insekten“ (siehe Homepage-Beitrag vom 19. Juni 2018). Ziel des Thementages war es, bei Schülern wie Lehrern Interesse an der vielseitigsten aller Tierordnungen zu wecken und gleichzeitig  auf die akute Bedrohung unserer  einheimischen Insektenwelt hinzuweisen. Im Verlauf des Tages entstand die Idee, als Schule aktiv etwas zum Insektenschutz beizutragen anstatt dem Niedergang unserer Käfer, Schmetterlinge und Hummeln nur tatenlos zuzusehen.

Die Idee: Umdenken und Schulgelände sinnvoll nutzen

Im Mittelpunkt unserer Überlegungen stand der Plan, an geeigneten Stellen auf dem Schulgelände Pflanzen anzusiedeln, die für Schmetterlinge und andere Fluginsekten von besonderem Nutzen sind. Das Zentrum sollte eine Insektenwiese mit speziellen „Insektenpflanzen“ bilden. Unser  Schulgelände weist große, teils ungenutzte Rasenflächen auf. Warum also nicht einen Teil davon so umgestalten, dass er zum Schlaraffenland für Schmetterlinge und andere Insekten wird? Eines war uns dabei von vornherein klar: Die Insektenpflanzen würden das nach außen sehr gepflegte Erscheinungsbild unserer Schule an manchen Stellen verändern, es dort naturbelassener und etwas verwildert aussehen lassen. Aber: Ein makelloser Golfrasen hat noch keinen Schmetterling gerettet!

Tankstellen für Tagschmetterlinge

Zunächst pflanzten einige unserer Schülerinnen und Schüler unter Anleitung mehr als ein Dutzend Sommerfliederbüsche  (Buddleja davidii) weiträumig verteilt auf dem Schulgelände an. Für jeden einzelnen Strauch übernahmen Kinder die Patenschaft. Die Büsche werden im Volksmund auch Schmetterlings- oder Bienenflieder genannt. Sie sind mit ihren lila gefärbten, duftenden und nektarreichen Blüten wahre Insektenmagneten. Durch ihre lange Blühzeit von Juni bis Oktober stellen sie für zahlreiche Bienen-, Hummel und Schmetterlingsarten begehrte Nektar-Tankstellen dar, speziell im Spätsommer, wenn das allgemeine Blütenangebot knapp wird. Die grundsätzlich anspruchslosen Büsche wachsen schnell und produzieren zahlreiche traubenförmige Blüten. Ein mehrjähriger Busch kann im Verlauf eines Sommers Hunderte davon entwickeln, wodurch die Pflanzen neben ihrem hohen Mehrwert für die Insektenwelt zusätzlich noch eine echte Augenweide darstellen.

Futterpflanzen für Raupen

Kennzeichnend für alle Insekten ist es, im Verlauf ihres Lebens mehrfach die Gestalt zu ändern. Schmetterlinge beispielsweise fliegen nur einen Teil ihrer Lebenszeit als bunte Falter umher. Den größeren Teil ihres Lebens verbringen sie als Ei, Raupe und Puppe. Wer den Insekten etwas Gutes tun will, muss deshalb immer alle Entwicklungsstadien im Auge haben. Raupen ernähren sich von ganz anderen Pflanzen als die bunten Falter, von denen sie abstammen. Ein Beispiel: Das farbenfrohe Tagpfauenauge lebt als Schmetterling vom Nektar vieler Blüten, die es mit seinem Rüssel leertrinkt. Seine Eier legt der Falter es aber auf Brennnesseln ab, deren Blätter die geschlüpften Raupen unermüdlich verzehren. Die Raupen können nichts anderes fressen als Brennnesseln, auf anderen Pflanzen gehen sie zugrunde. Findet der Schmetterling diese Pflanzenart nicht vor, stirbt er im Normalfall nach mehreren Wochen, ohne sich fortgepflanzt zu haben. Dieser Zusammenhang macht klar, dass im näheren Umfeld der Blütenpflanzen auch immer die Futterpflanzen der Raupen wachsen müssen. Deshalb erschien es unbedingt notwendig, zusätzlich zu den Sommerfliederbüschen ein großes Beet mit Futterpflanzen für Insektenlarven und Raupen anzulegen.

Ein Insektenbeet anlegen 

Seit Schuljahresbeginn griffen deshalb Schülerinnen und Schüler immer wieder zu Schaufel und Spaten. Unser Insektenbeet sollte auf einer ungenutzten Rasenfläche des Schulgeländes entstehen. Zunächst musste die vorhandene Grasnarbe von den Schülern mit einfachem Gartengerät und von Hand entfernt werden. Am besten bewährte sich die Technik, einen Spaten flach unter die Grasnarbe zu treiben und diese dann abzuheben. „Warum sähen wir die Insektenpflanzen nicht einfach auf das Gras?“ lautete eine häufig gestellte Schülerfrage. „Weil die winzigen Keime der jungen Pflanzen vom Gras überwuchert und in ihrem Wachstum stark behindert werden würden“, lautete die Erklärung für die anstrengende, aber notwendige Arbeit. Anfang Oktober zahlte sich die gemeinschaftliche Mühe vieler Schülerinnen und Schüler dann schließlich aus. Unser knapp 50 Quadratmeter großes Insektenbeet war fertigt angelegt.

Bunter botanischer Mix   

Nun ging es an die Bepflanzung des Beetes. Ziel war es, eine Mischung an einheimischen Pflanzenarten auszusähen, welche möglichst unterschiedlichen Insekten Nahrung bieten. Samen von mehr als zehn verschiedenen Pflanzen wurden auf der blanken Erde ausgebracht.  Ein besonderer Bereich war den Brennnesseln vorbehalten, die – wie vorhin am Beispiel des Tagpfauenauges erklärt – die Futterpflanze für einige unserer schönsten Tagfalterarten darstellen. Brennnesseln sind weit mehr als „nur Unkraut“. Aber auch Samen von Weidenröschen, Johanniskraut, Königskerze, Nachtkerze, Labkraut, Wiesensalbei, Feldthymian, Seifenkraut, Pastinak und wilder Möhre wurden ausgebracht. Jede dieser Pflanzen dient den Raupen einer ganz speziellen Insektenart als Nahrung, das Weidenröschen dem nachtaktiven Weinschwärmer, die wilde Möhre dem herrlichen Schwalbenschwanz … Wer Biodiversität an Insekten will, muss Biodiversität sähen – in Form vielfältiger Nahrungspflanzen. Das Saatgut für unsere Insektenwiese stammte teils von Schülern, teils von Lehrkräften, welche die reifen Pflanzensamen gegen Sommerende von verblühten Altpflanzen in der Region gesammelt und aufbewahrt hatten.

Die Vision 

Schule sollte auch Raum für Visionen bieten, wenn von ihr neue, sinnstiftende Ideen und Impulse ausgehen sollen. Hinter unserem Bepflanzungs-Konzept steht die Vision eines Schulgeländes, das sich in den nächsten Jahren zu einer kleinen Oase des Lebens für Schmetterlinge und andere selten gewordene Insekten entwickeln wird. Und das trotz – oder gerade wegen – minimalistischer Betreuung der angesiedelten Pflanzen. Ab einem bestimmten Punkt ist es nämlich für die Natur am besten, sie einfach sich selbst zu überlassen. An Arbeitsaufwand fällt lediglich das einmalige Mähen des Insektenbeetes im September  mit der Sense und gelegentliches Entfernen neuer Graspflanzen von Schülerhand an. So wird einer Versteppung der Fläche vorgebeugt, ohne dass die Larven oder Puppen der Insekten Schaden nehmen.

Der pädagogische Nutzen eines derartigen Projektes ist vielschichtig. Ab dem kommenden Frühjahr  können interessierte Klassen vor Ort die heranwachsende Pflanzen- und Insektenvielfalt anschaulich erleben und unterrichtlichen Nutzen daraus ziehen. Eine echte, lebendige Raupe beim Fressen im Freiland zu beobachten stellt für Lernende beispielsweise ein ganzheitliches, viel einprägsameres Erlebnis dar als nur einen Film darüber gezeigt zu bekommen.

Entscheidende Projektschritte wie das Anlegen des Beetes, das Bepflanzen des Geländes mit Insektensträuchern, das Übernehmen von Patenschaften und das Sammeln sowie Ausbringen von Sämereien wurden von Schülerinnen und Schülern übernommen. Dadurch konnten die Heranwachsenden wertvolle Erfahrungen in einem Bereich machen, der vielen unserer Post-Millenials nicht mehr zugänglich ist.

Selbst Hand anlegen zu können, ein Biotop mit zu gestalten, sich mit einer wenig populären Lebewesengruppe und Wirkzusammenhängen in deren Umfeld tiefer zu befassen stellen Prozesse dar, die geeignet sind, bei Lernenden Interessen und Haltungen zu verändern. An unterschiedlichen Punkten des Projekts war bei Schülern immer wieder Sorge um den Erhalt der einheimischen Insektenwelt und aufkommendes Interesse für ökologische Fragestellungen erkennbar. Das zeigte sich unter anderem darin, dass Schüler ganz unterschiedlicher Altersgruppen zuhause das Anpflanzen eines Sommerflieder-Busches oder das Anlegen eines Blühstreifens im elterlichen Garten erwirkten. Hier wird deutlich, dass ein solches Projekt auch Veränderungen fernab der Klassenzimmer nach sich zieht. Teil unserer Vision darf es deshalb sein, über die Kinder auch Themen, Wertvorstellungen und Haltungen nach außen zu tragen, die mittel- und langfristig zu einem Umdenken und Handeln in den Familien und damit in unserer Gesellschaft führen.